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Saturns Hammer und Sichel

Morta, die älteste der drei Schwestern Parcen, Göttinnen des Schicksals, hatte die Aufgabe, den von ihren Schwestern gesponnenen Lebensfaden eines Menschen zu durchtrennen. Ursprünglich waren die Parcen nur Gefährten der Schwangerschaft, später wurden sie durch die Übernahme der griechischen Tradition mit den Moiras, den Göttinnen des Schicksals, in Verbindung gebracht. Sowohl bei Parcen als auch bei Moiras war die älteste Schwester für das Durchtrennen der Schnur zuständig. Bei Parcen war sie für die des Lebens zuständig, bei Moiras für die Nabelschnur. Derselbe Zuständigkeitsbereich wurde auch dem altgriechischen Gott Kronos oder dem römischen Gott Saturn zugeschrieben, dem Gott der Landwirtschaft. Sein Attribut ist das landwirtschaftliche Werkzeug Sichel, das sich übrigens einmal als geeignet erwies, um seinen machtgierigen Vater um den Penis zu kürzen.

Und da kommt noch ein Gott, der sich in diese Geschichte verwoben hat, nämlich Gott Chronos aus den orphischen Kulten, der abstrakte Gott der Zeit. Laut der Geschichtswissenschaft ist Kronos wegen Namenähnlichkeit kulturell kontaminiert mit der Zuständigkeit über Zeit und Vergänglichkeit. So wurde das „Vanitas“-Moment in die Bedeutung des Kronos-Saturns eingesponnen. Vanitas dient dazu den Prahler und Geniesser daran zu eriennern, dass auch auf den freudigsten Momenten der Schatten des Todes fällt. So wurde die Assoziation zwischen dem Schnitter und dem Tod gefestigt, insbesondere mit biblischen Metaphern, in denen die Welt als Acker dargestellt wird, auf dem ein Landarbeiter Menschenleben erntet und dabei die Spreu vom Weizen trennt. Die ursprünglich ohnehin düstere Figur eines hinkenden alten Mannes mit bedecktem Kopf und einer Sichel in der Hand steigerte sich im Laufe der Jahrhunderte zu sterblichen Überresten unter dem Zahn der Zeit. Nach dem tanzenden alten Mann kommt ein mumieartiges Wesen, danach ein Skelett, und heute als Teil der Popkultur eine hohle Kapuzenrobe - immer mit einer Sense, mit der Sensenmann die Menschenseelen zu ernten hat.

 

Im astrologischen System ist Saturn der Cuter und Finalisator, zuständig für die Abschlussphase, das Ende, ebenso wie Morta. Deshalb sind beide Götter mit dem Attribut des fortgeschrittenen Alters ausgestattet. Saturns abstraktes Symbol hat die Form einer Sichel - das Werkzeug, mit dem dieser am Ende des uterinen und postuterinen Lebens die Verbindung zur Wohnstätte durchtrennt. So wie der Bauer die Pflanzen von der Mutter Erde trennt, indem er sie erntet, so trennt Saturn das Kind von der Mutter und die Seele von der stofflichen Welt.

Gemäß der aristotelischen Kosmologie ist er der letzte Planet in der Reihe und der äußerste der drei äußeren, centri-fugere Planeten oder Sphären jenseits der Sonne (vom Erde aus gesehen). Durch dieses topologische Extrem ist er nicht nur der einzige, der nach außen blickt, sondern ist er der Einzige, der nach außen treibt. Deshalb ist Saturn bzw. Kronos das, was sein Namensursprung bedeutet - Kronos = kraíno = Finalisator - der unheilverkündend über dem Ort des Abschieds wartet, auf dem letzten Abschnitt des Weges. Man könnte sagen, dass die Botschaft von Chronos - Bedenke, dass du nichts behalten kannst - hier ihren abschließenden Akt findet. Im Horoskop ist Saturn die Signatur für Situationen, in denen etwas aus einem Ganzen herausgelöst wird, wenn einer Person etwas weggenommen wird oder wenn sie sich selbst von etwas Größerem abtrennen muss. Es scheint, als ob hier dem mythologischen Muster der Kronos-Story gefolgt wird - die Verbannung "bis an die äußersten Enden von Erde und Meer" (Saturn, der letzte Planet in der Reihe) oder unter Tartarus, der tiefsten Region der Unterwelt, oder auch in der späteren Tradition der euhemeristischen Interpretation als Verbannung des König von Kreta. Die Trennung des Einzelnen von der Gemeinschaft, sowie seine Isolation und Abgeschiedenheit ist eine der Konstanten in der astrologischen Saturndeutung. Wir sehen, dass das Bild des bösartigsten 'Malefik', der immer vom Schluchzen des stillen Leidens begleitet wird, nicht unverdient ist. Dieser Planet hat besondere Freude daran, das Sentiment zu treffen und das loszureißen, was fein und tief verwoben ist. Er zerreißt die Verbindungsschnüre und Assoziationen, externalisiert das tief Verinnerlichte, entreißt einem materiellen und immateriellen Besitz, verwirrt seine Identifikationen und drängt ihn ins Leere.

Nicht jeder aber, der unter Saturneinfluss steht, ist am Boden zerstört. Eine Trennung muss nicht unbedingt tragisch sein. Saturn gilt auch als Erlöser, Gegengift zu den Drogen des Lebens, strenger Aufseher bei der Entgiftung von Drogenabhängigen oder Guru mit dem Haustock. Er trennt einen vom illusorischen Besitz, zerstört den verderblichen Komfort, bricht Identifikationen und Anhaftungen, ernüchtert und entlarvt den Menschen und seine Realität. Kurz gesagt stellt er sich seinem polaren Gegenstück, dem Mond, dem Planeten der Anhaftungen und Verwebungen, entgegen. Als Planet am Ende der Reihe, der dem Jenseits zugewandt ist, ist er auch der "Wächter der Schwelle", der wie ein Wärter an einem FKK-Strand darauf achtet, dass nur Nackte durchkommen. Saturn ist auch der Schutzpatron des Wüstlings, des Einsiedlers und des klösterlichen Mystikers, der sich in kontemplative Abgeschiedenheit zurückzieht und versucht, sich gegen die Welt zu immunisieren und sich dem Himmel jenseits des Saturns anzunähern, dem "Himmel über den Himmeln" (Basilius der Große), um im strahlenden Licht des Empyreum zu baden. So ist Sensenmann Saturn auch für mystisches (Ego)Tot zuständig. Als Planet der Dissoziation, Trennung und Distanzierung unterstützt er den Mystiker dabei, sich durch die Praxis einer distanzierten Bewusstseinssteigerung zunächst von den Resonanzen der Welt und dann von den Resonanzen des Selbsts zu lösen. Dies führt zum Erwachen, wo die Welt zum Derivat des All-Bewusstseins degradiert wird.

Und noch banaler: Als Separator bringt er nicht nur Freiheit, Weisheit oder Erlösung durch schmerzhafte Opfer hervor, sondern auch einfache, profane Freiheit. Als Schnurschneider trennt er nicht nur den, der gerne an etwas hängt, sondern auch den, der in einer ungewollten Abhängigkeit steckt. Er ist nicht nur für das tragische Exil verantwortlich, sondern auch für die Entlassung in die Freiheit. Diejenigen, die mit diesem Thema vertraut sind, werden sicherlich feststellen, dass sich diese Behauptung nicht mit der Tradition deckt, die Saturn als Grenzsetzer betrachtet. Und tatsächlich, würden wir zum Thema Saturn alte und neue Literatur eine word cloud erstellen, würden die Wörter "Einschränkung", “Begrenzung” oder "Hinderniss" sicherlich herausstechen. Unter Astrologen herrscht ein klarer Konsens darüber, dass Saturn der Feind der Freiheit ist und gerne Grenzen setzt. Thomas Ring bezeichnet es schlicht als "das Grenzsetzende". Selbst Vettius Valens (2. Jh.), einer der ersten umfassenden Beschreiber astrologischer Symbole, weist Saturn "Hindernisse" zu. Über das Einschränken hinaus werden ihm auch das Erstarren, Verdichten und Straffen zugeschrieben. Außerdem wird ihm das unangenehme Verengen zugeordnet, das bei Häftlingen an den Gliedmaßen und bei Ängstlichen und Traurigen an der Brust auftritt. Die Deutung des Saturn als Grenzsetzer dürfte ursprünglich mit seiner Grenzposition in der Planetenreihe zusammenhängen. Wie bereits erwähnt, gilt Saturn als "Hüter der Schwelle" am Ende der Welt, an der Grenze der Immanenz, der jenseitiger Leere zugewandt. Das andere Extrem in der Planetenordnung ist der Mond und obwohl er ebenfalls ein Grenzplanet ist (erster “Himmel”), wird er nicht als Grenzwächter angesehen, weil er der diesseitigen Welt zugewandt ist. 

Eine andere Sache, die Saturn diesen despotischen Akzent verleiht, ist die von den Babyloniern geerbte Planetenpolarität, bei dem anstelle der Sonne der androgyne Merkur die Polaritätsachse ist, so dass nicht der Mond, sondern Jupiter dem Saturn gegenübersteht. So muss Saturn einschränkend, quetschend, schrumpfend, erstickend sein, denn sein Gegner ist der heitere und wohltätige Jupiter, der „Archetyp der Offenheit und Freiheit“ (Romanikwiecz), ein inflationärer Planet, der durch sein Expansionsstreben Herzen öffnet, Horizonte erweitert und Beschränkungen bricht (Robert Hand). Würde diese „babylonische“ Setzung der Planetenverhältnisse irgendein Sinn ergeben, dann nur, wenn Saturn in seiner Beziehung zum inflationären Jupiter nicht als einer dargestellt wird, der drückt, erstickt und einschränkt, sondern als derjenige, der Überfluss schrumpft, entlastet, verarmt oder auf das Wesentliche reduziert. Allerdings macht auch diese Konstellation wenig Sinn. Es ist weit sinnvoller, Saturn durch die Polarität der "chaldäischen Ordnung" abzustimmen, bei der er zum Mond und nicht zum Jupiter polar ist. Saturn hat dann die Aufgabe, dem Mond seine Werke zu entstellen. Er zerreißt die Fäden des warmen Pullovers, den der Mond mühsam gestrickt hat; er externalisiert, was der Mond verinnerlicht hat; er trocknet, was der Mond befeuchtet; er gefriert und verkrustet, was der Mond weich und empfänglich gemacht hat und bringt Distanz dort, wo der Mond Intimität geschaffen hat.

Es lässt sich aber auch elegant durch die Polarität der „Domizilordung“ stimmen, in der sie die Exklusivität besitzt, nicht einen, sondern zwei Planeten gemäß ihrer „Domos“ als Opponenten zu haben, und zwar großen leuchtenden Himmelkörper, luminaren  – die Sonne und der Mond, der Vater und die Mutter. Aufgrund dieser Unverhältnismäßigkeit ist Saturn auch der Planet mit den meisten Widersprüchen, wie Klibansky, Panofsky und Saxl ("Saturn und Melancholie") feststellten, die sich auf einer tieferen Ebene wiederum harmonisch aufheben, wie G.F. Hartlaub feststellte. Aus seiner diametralen Verhältniss zu Sonne und Mond leitet sich nicht nur der Antagonismus gegenüber der Wärme und dem Lumen der Luminare ab, sondern auch seine trennende und externalisierende Rolle. Luft-Saturn oder Wassermann, also der Gegenspieler der Sonne (Vater), bedeutet Emanzipation im ursprünglichen Wortsinn: emacipatio = ex-manci-pater = Verlassen des Vaterhauses. Der irdische Saturn oder Steinbock, also der Oponent Mondes (Mutter), ist sozusagen „emanzimation, das Verlassen der “Mutterhauses”, bzw. den (weichen und feuchten) uterinen Komfort, um in die Welt und in das Bewusstsein zu kommen - einschließlich des Nestes, des Schoßes, der Mutterbrust, aller postuterinen Abhängigkeit von der Mutter. Die väterliche Heimat zu verlassen bedeutet, sich in die Welt zu begeben, sich von der Vaterimago zu lösen, der Strenge der väterlichen Werte, die auf sozialen Status oder Sozialen Komformität zielen, wenn nötig mit einer Prügelstrafe. Deshalb wird Wassermann (Luft-Saturn), ein Zeichen, das in der Beschreibung von Vetius Valens als „Hasser der eigenen Familie“ bezeichnet wird, damit assoziiert, den frisch erworbenen Besitz der Freiheit von autoritären Zwängen zu genießen, am ursprünglisten als Vagabund (von lat. vagare = wild umherstreifen, fernab der Zwänge der Gesellschaft) oder als „fahrende Scholaren“, Goliarden, gelehrte Bohème des 12. und 13. Jahrhunderts, charmanter Schmarotzer, oder auch als Wanderer im Sinne des aufgeklärten Bildungsromans, wo Heimatwerte zurückgesetzt und neue aufgebaut werden durch persönliche Erfahrung.

Die dritte Sache ist, dass die Vision von Saturn modifiziert wurde, seit postaufklärerische Astrologen mit Erzengelnamen wie „Raphael“ den neu entdeckten Uranus im Wassermann (Saturns traditionelle Domus) platzierten und dieses Sternzeichen mit dem Virus des fantasierten Uranbedeutungen infizierten (siehe „Uranias Kinder”) - obwohl die traditionelle Domizilordnung als abgerundetes thema mundi keine Schnittstelle für die Einverleibung weiterer Planeten ließ. Damit wurde die Luftnatur des Saturns verdrängt, und es blieb lediglich ein Stalinist übrig – ein düsterer und schwerer Planet, der, wohin er tritt, nichts wächst, alles zieht sich zusammen, schrumpft, sich versteift, verdorrt. Das Gepräge des Elements Erde wurde auf beiden Seiten der Saturn-Münze eingeschlagen, sodass sie alle heitere Akzernte verlor. Kenner werden feststellen, dass die Lage auch vor diesem „Putsch“ nicht viel besser war. Stimmt, aber etwas anderes wird zumindest angedeutet. Obwohl Saturn nämlich von Beginn der Astrologie ganz chthonisch war, „irdisch“, „trocken und kalt“, der Herrscher irdischer Berufe, Bauern, Bergleute, Töpfer, Maurer, war er auch das, was er jetzt nicht ist – ein Signifikator von niedere Art von Menschen, Menschen mit schlechtem Ruf, Sklaven, Leibeigene, Eunuchen, Penner, Kuriere, Waisen, Diebe, entehrte, vulgäre, stinkende, hässliche, schmutzige sowie niedere Berufe - Hirten, Gerber, Totengräber, Masseure, Aderlasser, Eisensammler (William Lilly, Abu Ma'shar, Alcanbitius), also diejenigen, die am weitesten vom Zentrum des glitzernden Glorie, Ruhms und der Macht entfernt sind. Es passt dazu, dass die sogenannten Saturnalien, die römischen Winterfeste zu Ehren des Saturn, waren Feste, bei denen während ihrer Dauer die vertikale Organisation der Gesellschaft so weit aufgelockert wurde, dass sogar Sklaven auf ihren Herren ritten und sie saftig beschimpften, ohne dass sie sofort nach der Tel. Nummer des diensthabenden Henkers griffen.

Nun, da wir uns darauf geeinigt haben 😉 dass das Wesen des Saturns von seiner kosmologischen Grenzposition zwischen Diesseits und Jenseits oder Innen und Außen herrührt, wäre es nicht schlecht, auch zuzustimmen, dass es viel günstiger ist, ihn als Grenzbeamter für Deportation zu betrachten, anstatt ihn nur als Grenzbeamter zu betrachten, der sich darauf beschränkt, die Rampe geschlossen zu halten. Saturn ist der einzige Planet, der dem Außen gewendet ist und der aus dem System herausdrängt, im Gegensatz zum internalisierenden Mond, der nach innen zieht. Das Außerhalb des Systems kann zwar eine Zone des Exils und der Entfremdung sein, aber ebenso eine Zone der Freiheit. Für Letzteres ist es wichtig, sich daran zu erinnern, was oben besprochen wurde: Saturn ist exklusiv in seiner Doppelherrschaft. Er herrscht gleichermaßen über erdigen Steinbock wie über luftigen Wassermann.  Wenn wir annehmen, dass der luftige Wassermann auch das "Haus" des Saturn ist, dann kann sein düsteres, schweres, einengendes, "saturnine" Bild etwas “durchluftet” werden. Luft ist freiheitlich “gesinnte” Element, und deshalb dürfte hier die Grenzsetzung nicht Saturns Thema sein, ganz im Gegenteil, er regt sogar zu Überschreiten der Grenzen an. Er ist nicht fürs Zusamendrücken und -schrümpfen verantwortlich, sondern ist im Gegenteil stimulativ für Loslassen, Nachgeben, Entspannen. Schwoll es unter Jupiter an, zog es sich unter Saturn nicht wieder zusammen, sondern platzte und löste sich. Beide Planeten sind zentri-fugere = nach außen gerichtet, da sie sich auf der hinteren Seite der Sonne befinden. Daher ist Saturn unter Luftbedingungen ein Anarcho-Planet, der Umklammerungen und Fesseln sprengt, libertäre Bestrebungen unterstützt, Aufstände gegen Einschränkungen, Normen, und jegleichen Standesgefüge anstiftet, insbesondere gegen das, was satt, fett und glitzernd ist. In mittelalterlichen bildlichen Darstellungen wie Kalendern und "Planetenkinder" wird Saturn oft als Beschützer der Armen und Unterdrückten dargestellt, und er wurde manchmal selbst als solche dargestellt. Aber auch als Schutzpatron von Revolten und Aufständen der Unterdrückten (das Bild oben). Kronos selbst war als junger Mann ein Rebell gegen seinen machtgierigen Vater. Justin, ein Historiker aus dem ca. 3. Jahrhundert, schreibt, dass „der italische König Saturnus ein Mann von solch außerordentlicher Gerechtigkeit gewesen sein soll, dass niemand ein Sklave in seiner Herrschaft war oder irgendein Privateigentum besaß, sondern dass alle Dinge allen gemeinsam waren und ungeteilt, als ein Anwesen für den Gebrauch eines jeden; in Erinnerung dieser Lebensweise wurde es angeordnet, dass sich bei den Saturnalien Sklaven mit ihren Herren zu Tisch begeben sollten.." Das "Vanitas"-Motiv Saturns enthält bereits Kritik an Machtgier und Eitelkeit. Saturn ist ein Planet, der Menschen zu Out-sidern, Eremiten, Asketen, Zynikern macht, sie von innen und außen her dezentriert, sie "auslöscht", "austrocknet", gleichmutig macht, gleichgültig gegenüber sich selbst, eigenen Reflexionen in die Öffentlichkeit, Wertsystemen, betäubt auf den Ruf des funkelnden und Auratischen. Man könnte sagen, dass im Zwielicht der Monarchien und Imperien, insbesondere als die Bolschewiki an die Macht kamen (und Saturn 1917 in den Löwen eintrat), eine "Sonnenfinsternis" stattfand. Alle Lichter wurden ausgeschaltet oder gedimmt, alles Glitzernde und Funkelnde verschwand. Es wurde buchstäblich alles liquidiert, was mit Licht zu tun hatte - "bашa cветлость", die Krone (kommt von corona = Licht), die bisherige herrschende Stars des oberen Standes, die Radialität der Gesellschaft, alle Glorie (= Licht) und Luxus (lux = Licht). Ein neuer, gedimmter Mensch wurde postuliert, uniformiert in grauen Arbeitskleid, eine abgeflachte menschliche Masse der Proletarier. Saturn ist der unbestechliche Equalist, der alles abflacht. So wie er am Ende des Weges die Untertanen und die Fürsten plattebnet und ebenso wie er die Seele abflacht, indem er sie in den Apátheia-Zustand führt, so ebnet er auch die gesellschaftlichen Ränge und Privilegien ein, schärft das Bewusstsein der Unterdrückten für ihre Klassenlage und plädiert sozusagen für die Einführung der no limit Saturnalien. Saturn ist ein dissoziativer Planet, genauso wie Luft ein dissoziatives Element ist. Deshalb fühlt er sich in Luft zu Hause, in seinem Domizil. Weder Saturn noch Luft mögen Monopole und Machtkonzentrationen. Beide sind Gleichmacher.

Aber, um noch frevelhafter zu sein, selbst unter irdischen Umständen ist Saturn keine Begrenzung. Auch die Erde (festförmige Zustand) enthält in sich einen Moment der Dissoziation. Wenn sich Wasserpartikel an einem Ort sammeln, verbinden sie sich sofort zu einer Union, während ein Sandpartikel jede Verbindung mit seinen Nachbarpartikeln ablehnt, selbst wenn wir sie mit aller Kraft mit unserer Faust zusammendrücken. Das Element Erde als festes Aggregatzusatand mag Risse, Krümel, Splitter und es weigert sich so rigoros sich wieder zusammenzufügen, sobald es zerlegt wurde, dass wir ihm eine immanente atomisierende „Neigung“ (Jens Soentgen) zuschreiben müssen, genau wie dem Luft/Gas, das kathegorisch Assoziationen ablehnt. Saturn ist ein Grenzplanet und bezieht sich auf Grenzbereiche. Als "Erdling" setzt er sogar eine Begrenzung. Aber diese Begrenzung ist nicht für denjenigen innerhalb, sondern für denjenigen außerhalb der Grenzen bestimmt. Saturns harte Kruste, verhorntes Epithelgewebe ist eine verdickte Grenze, aber mit der Aufgabe, das weiche, feuchte und rezeptive innere Gewebe zu schützen. Als "Erdling" baut eine Kruste auf, drückt aber nicht zusammen, setzt keine Limits für Handlungen. Die Rinde oder Hornhaut ist saturnhaft positioniert - am Rand und außen. Außerdem fühlt sie sich entfremdet, als etwas Äußerliches, auf der anderen Seite unseres empfindungsfähigen Inneren. Das "tote" Rindengewebe an den Sohlen eines Dauer-Barfüßigen oder an den Hufen von Rindern ist ein externalisierter Körper, ebenso wie die Rationalität ein externalisierter Geist ist (vergegenständlichen, bewusst machen, objektivieren, begreifen), der ebenfalls stumm, entfremdet und nicht empfänglich ist. Deshalb ist Saturn in neuplatonischen, mythografischen und Renaissance-Visionen der Geist. Hier würde ich hinzufügen: Ein verkrustender Geist, wie er eben von der Lebensphilosophie imaginiert wird, als "Widersacher der Seele" (Ludwig Klages), heisst, Widersacher des Mondes - den Planeten der befeuchtet, erweicht, verwebt und das Mechanische ins Organische übersetzt. Oder mit den Worten von Karl Jaspers: „Wie der Stengel der Pflanze, um leben zu können, einen gewissen gerüstbildenden Verholzung bedarf, so bedarf das Leben des Rationalen; wie aber die Verholzung schließlich dem Stengel das Leben nimmt und zum bloßen aparat macht, so hat das Rationale die Tendenz, die Seele zu verholzen".

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